Kerwebräuche im Wandel

Früher

Wesentlich scheint hier die Feststellung, daß die traditionelle Kerb drei Tage dauerte: Kerwesonntag, Kerwemontag und Nachkerb. Als kleine Nachfeier rundete am folgenden Sonntag für die Jugend das sogenannte "Brooreverzehrn" die zünftige Kerb ab.

Büttelbörner Kerb 1911! Auf zum Löwen!

Seit altersher sind offenbar die Kerwehorsch ein wichtiger Bestandteil unseres Kirchweihbrauchtums. Bevor die "großen Säle" Turnhalle (1925) und Volkshaus (1931) gebaut waren, hatten alle vorhandenen Tanzsäle (Kullmanns, Dicks, Bauers, Hamme) ihre Kerweborsch.

Büttelbörner Kerb 1910!

Gleiche Kappen oder Bänder waren Symbole für die Gemeinschaft. Ihre Aufgabe war es, durch mancherlei Gags die Kerb zu beleben und Stimmung zu schaffen, mehr aber durch Zufallseinfälle, als durch ein vorbereitetes Programm. Deshalb waren auch weit weniger Kerweborschversammlungen notwendig als heute. Zu wählen waren in jedem Fall der Kerwevatter und seine Begleiter.

Im Laufe des vorhergehenden Samstags war der Kerwebaum zu holen und aufzustellen, was zumeist nicht ganz trocken abging.

Mit viel Lärm wurde dann abends Punkt 1Z Uhr die Kerb geholt. Man wählte den weitesten Weg bis zum Ortsende, wo dann beim Graben auf einem Acker rein zufällig eine Flasche Wein gefunden und mit einem wahren Freudengeheul "Wem ess die Kerb ? - Unser!" begrüßt wurde.

Nachmittags wurde dann die Kerb "aufgezogen". Jede Kerweborschgruppe tat das für sich. Voran gingen zwei Gassenkehrer mit überdimensionalen Reiserbesen, hoch zu Roß folgten der Kerwevatter und seine Begleiter und zu Fuß die Kapelle und die Kerweborsch. Als Fahne wurde eine Tischdecke mitgeführt, die in der Kerwenacht (unter Ausschluß des Rechtsweges) verlost wurde. Der Kerwespruch, der allerlei lustige lokale Vorfälle des letzten Jahres in Reimen glossierte, wurde vom Kerwevatter beim Bürgermeister und vor dem jeweiligen Lokal aufgesagt. Mit der Ankunft im Saale begann dann sogleich der Kerwetanz. Eintrittsgeld wurde nirgends erhoben, dafür wurde beim Tanzen "gezoppt", d.h. nachdem der Tanz kurz angespielt war, sammelte einer der Musiker die vorher gelösten Tanzkarten ein. Praktischer war natürlich das "Tanzbändchen" auch "Tanzbennel" genannt. Das war eine Tanz-Dauerkarte und wurde in Form einer Rosette mit einem Patentknopf in einem Knopfloch befestigt. (Noch weit im Vorfeld der Emanzipation zahlte natürlich der Tänzer und nicht seine Partnerin).

Da es keinen Eintritt kostete, konnte man ohne finanziellen Schaden von einem Lokal zum anderen gehen, eine Chance, die von vielen Kerwebesuchern gern wahrgenommen wurde.

Bei den meisten Tanzkapellen, die damals alle ohne elektronische Verstärker auskamen, war es Sitte, daß sie nachdem aus der entferntesten Saalecke der Solotrompeter die Kerwegäste noch mit der "Post im Walde" erfreut hatte nach Mitternacht die Blechinstrumente zur Seite legten und zu den Saiteninstrumenten griffen. Wenn dann "Guter Mond, du gehst so stille" bei gedämpftem Licht gespielt und getanzt wurde, waren die Paare dem siebentem Himmel ganz nahe.

Es muß überhaupt eine schöne Zeit gewesen sein, als man sich, ohne schreien, mit seinem Nachbarn unterhalten konnte.

Selbstverständlich gehörte auch damals schon der Frühschoppen am Montag zur Kerwezeremonie. Dabei hieß es allerdings, sich fit halten für den beliebten - weil so gemütlichen - Kerwemontagstanz.

Hatte man an Nachkerb den letzten Tanz hinter sich gebracht, wurde die Kerb begraben, oder sie wurde verbrannt.

Kerwestimmung herrschte aber auch in den Ortsstraßen. Vor den Tanzsälen in der Mainzerstraße, der "Vordergasse", standen Schießbuden, Stände und Ständchen mit Süßigkeiten und kleinen Spielwaren. Und wie glücklich (kein Mensch sagte damals "happy" !) waren die Kinder, wenn sie sich für ihr "Kerbgeld" ein paar Mohrenköpfe, Makronen oder eine Tüte voll "Himbeerguts" kaufen konnten. War erst eine "Reitschule" da, lachte jedes Kinderherz. Bis zum ersten Weltkrieg war sie vor "Scholze" (Ecke Darmstädter/Mainzer Straße) oder an "Salzgriese" (Ecke Mainzer/Dornheimer Straße) aufgeschlagen, und die Tour kostete 3 Pfennige.

Noch heute strahlen die Augen der wenigen Alten, die uns noch von der Kerwen ihrer Kindheit in der damaligen Zeit erzählen können. Diese festliche Atmosphäre in der Ortsmitte kann naturqemäß ein kompakter Rummelplatz am Ortsende nicht vermitteln.